Rose Tureto
Mein Name ist Rose Tureto. Ich bin eine Massai und wuchs in einer sehr kinderreichen Familie auf. Ich habe 19 Geschwister. Mein Vater war mit 5 Frauen verheiratet und meine Mutter war seine letzte. Sie selbst hat 5 Kinder.
In der traditionellen Kultur der Massai werden Frauen nicht in Entscheidungsprozesse mit einbezogen und auch eine Schulbildung ist für sie nicht vorgesehen. Als ich 11 Jahre alt war, wurde ich zu unserem Pastor nach Hause eingeladen. Dort habe ich viele Menschen gesehen, die in der Bibel gelesen haben. Ich wollte auch so gern lesen können. So legte ich eines Abends eine Bibel auf mein Kopfkissen in dem festen Glauben, dass ich am nächsten Morgen lesen und schreiben könne. Natürlich war dies nicht der Fall und ich sah ein, dass ich nicht durch ein Wunder zum Lesen kommen würde. Ich musste in die Schule gehen.
In einem Kurs für Erwachsenenbildung lernte ich ein paar Worte zu lesen. Nach ein paar Monaten konnte ich mir erste Verse in der Bibel erlesen. Als ein Jahr vergangen war, konnte ich lesen und schreiben. Unser Pastor half mir die Grundschule zu besuchen, welche ich 1998 erfolgreich und mit sehr guten Noten abschloss.
Aufgrund meines guten Abschlusses hätte ich die Möglichkeit gehabt, die Sekundarschule zu besuchen. Doch meine Familie hatte andere Pläne mit mir. Denn zu dieser Zeit wurde ein Brautpreis von fast 4 Kühen für mich an meinen Vater gezahlt. Ich sollte verheiratet werden. Das hieße jedoch, dass ich nicht weiter die Schule besuchen konnte. So lief ich weg von zu Hause und erzählte meinen Lehrern und dem Gemeindevorsitzenden von meiner Situation und dem Vorhaben meiner Familie. Sie halfen mir und bewahrten mich so vor der Zwangsheirat.
Durch die Hilfe von Sister Angelika und ihrer Organisation “Hilfe für die Massai“ war es mir möglich, die Sekundarschule für sechs Jahre zu besuchen und mein Abitur zu absolvieren. Aufgrund dieser Situation war meine Familie gezwungen, den Brautpreis zurück zu zahlen. Nun war ich frei.
Nachdem ich 2005 die Sekundarschule beendet hatte, stand ich vor einer neuen Herausforderung – wie kann ich mir ein Hochschulstudium finanzieren? Die Universität von Dar es Salaam bot mir über ein Förderprogramm ein Stipendium an. Ich bekam die Möglichkeit, ein dreijähriges Lehramtsstudium zu machen, unter der Voraussetzung, dass ich nach meiner Ausbildung nach Hause zurückkehre, um dort die Bildung von Mädchen und Frauen zu unterstützen.
Nach meinem Bachelorabschluss arbeitete ich für einige Jahre als Schulleiterin einer Sekundarschule für Massai Mädchen in Arusha. Seit 2015 leite ich die Return Home Sekundary School in Losimingori, die sich ebenfalls zur Aufgabe macht, jungen Massai eine gute Schulbildung zu ermöglichen. Mit viel Engagement und Herzblut unterstütze ich nun Massaimädchen, denen ein ähnliches Schicksal wiederfahren ist wie mir.
Ich bin sehr dankbar für die vielen Unterstützer, die mir meine Ausbildung ermöglicht haben – Menschen, die mit großem Engagement anderen helfen. Immer wieder denke ich darüber nach, wie ich meine Zeit, meine Stärken und mein Können nutzen kann, um mir selbst und anderen Segen zu schenken. Ich bin fest davon überzeugt, dass, wenn man seinen Mitmenschen mit offenen Händen begegnet, einem viel Gutes zurückgegeben wird.